Die ersten Bilder, die es an diesem Rennwochenende von Lewis Hamilton gibt, sind genau das, was man erwartet bei einem Showdown um den Weltmeistertitel in der Formel 1, auch wenn dieser nur noch zwischen zwei Mercedes-Chauffeuren entschieden wird: Hamilton, der zum dritten Mal in Serie beim Großen Preis von Mexiko vorzeitig Champion werden kann, treibt auf diesen Bildern mit der mexikanischen Boxlegende Julio Cesar Chavez (87 Siege in Serie, davon 75 durch K.o.) Sparring. “Er hat mir gesagt, dass ich einen ordentlichen Bumms in den Fäusten habe”, berichtet Hamilton hinterher stolz. So martialisch könnte das jetzt weitergehen, nicht nur Mexikaner mögen Rennfahrer, die eine Mischung aus Draufgänger, Rodeoreiter und Ringkämpfer sind.
In dem von außen sehr bunten Fahrerlagergebäude ist danach vom Bumms der Machos nicht mehr viel übrig. Im Mediensaal ist die Stimmung gedämpft. Dort, wo es sonst um Fakten geht, wie die 14 Punkte Vorsprung, die Hamilton in Mexiko gegenüber dem Teamkollegen Bottas benötigt, um zum sechsten Mal Champion zu werden, wird eine Weltmeisterschaft im Nachdenken ausgetragen. Passender Hashtag: FormelforFuture.
Angezettelt von Lewis Hamilton, mit einer Reihe von Instagram-Postings, in denen der erfolgreichste Rennfahrer dieses Jahrtausends viel von seiner Verletzlichkeit, aber auch seiner Widersprüchlichkeit preisgegeben hat. Mal macht er Menschen Mut, die daran scheitern, immer perfekt erscheinen zu wollen: “Lerne Dich selbst zu lieben, denn Du bist etwas Besonderes.” Ein andermal beklagt er, zu wenig Zeit für dies und das zu haben: “Gib niemals deine Träume auf!” Schließlich, in der vergangenen Woche, wurde es besonders kryptisch. In einem Schlusswort, nachdem es zuvor in einem bunten Reigen um Umweltverschmutzung, Bildung, Fleisch- und Milchprodukte gegangen war, er die Welt als “düsteren Ort” bezeichnet hatte, bekannte er: “Ehrlich, ich hätte Lust, alles hinzuschmeißen.” Fans und Arbeitgeber fragten sich panisch, ob schon wieder ein Champion hastig die Bühne verlassen wird wie 2016 Nico Rosberg.
Ein paar Tage später klingt das wieder ganz anders. Hamilton hat schon oft sein Talent dafür bewiesen, seine Gefühlslage wie mit einem Schnellschaltgetriebe zu wechseln: “Ich habe nicht aufgegeben, ich bin immer noch hier und kämpfe. Ich wollte nur eine Botschaft der Positivität senden.” Damit war das Thema für die Talkrunde gesetzt: Nachhaltigkeit! Im Angesicht der Widersprüchlichkeit einer Rennserie, die jedes Jahr an 21 über den ganzen Globus verteilten Orten Rennen fährt. Mit Verbrennungsmotoren.
Die Männer auf dem Podium gaben sich ernster als sonst, fast wäre man geneigt zu sagen: Sie wirkten erwachsener. Und sie versuchten erst gar nicht zu beschönigen, dass sie Rennen für Rennen einen schmutzigen Fußabdruck in der Umwelt hinterlassen und reichlich CO2. “Deshalb sollten wir trotzdem keine Angst haben, uns offen für einen positiven Wandel auszusprechen”, befand Hamilton, “eine schnelle Lösung gibt es nicht.”
Nachdem Hamiltons Persönlichkeit abgehandelt war (“Ich bin ein Prominenter, aber trotzdem auch ein Mensch”), nahm Sebastian Vettel das Thema auf. Mit einer Verve, die weit über das für ihn selbstverständliche Aufsammeln von Plastikflaschen in den Wäldern rund um seinen Schweizer Wohnsitz hinausging. “Es wäre ignorant, wenn wir über die Problematik hinwegsehen würden. Generell sollte die Formel 1 in dieser Richtung mehr unternehmen und eine viel stärkere Botschaft zu diesem Thema senden”, fordert der Familienvater. “Wenn jeder von uns einen kleinen Teil dazu beiträgt, macht das weltweit einen großen Unterschied.” Vettel findet, die Politik habe versagt. Gefragt nach seiner Parteienpräferenz, antwortet er: “Ich bin ein Unterstützer dieses Planeten!” Die Veränderung werde geschehen, deshalb rät er: “Wir sollten sie lieber fördern als ignorieren, bevor es zu spät ist.”
Eilig fügt Hamilton an, dass er neben seiner stattlichen Sportwagensammlung, die es immer wieder in sozialen Medien zu bewundern gibt, auch ein kleines Elektroauto besitze, und überhaupt: “Am Ende des Jahres soll mein Leben klimaneutral sein. Niemand in meinem Büro und in meinem Haushalt darf irgendwas aus Plastik kaufen. Die meisten Gegenstände sind wiederverwertbar – bis zur Zahnbürste.”
Seit zwei Jahren ernährt er sich vegan, im vorigen Winter hat er seinen Privatjet verkauft. Seinem ehemaligen Erzfeind Fernando Alonso kommt so viel Gutmenschentum eher heuchlerisch vor, er sagte einem Radiosender: “Man kann nicht an einem Tag solche Botschaften verbreiten und am nächsten Tag gegensätzlich handeln. Ich würde so etwas nie aussenden.” Na bitte, ein Macho ist also doch noch übrig. Für Alonso ist es auch völlig normal, künftig als Rallyefahrer durch den Öl- und Folterstaat Saudi-Arabien zu pflügen.
Es ist die Auseinandersetzung, die zählt, gerade in der Automobilbranche, zu der die Formel 1 im weitesten Sinne zu rechnen ist. “Ich will, dass mein Leben eine Bedeutung hat”, sagt Hamilton, samt Merksatz für die Menschheit: “Ein Teil der Probleme zu sein, das ist nicht bedeutend; Teil der Lösung zu sein hingegen schon.”
Mal ganz ohne Häme: Sogar Formel-1-Fahrern steht so ein Bewusstseinswandel ziemlich gut. Nico Hülkenberg hat ihn noch nicht erfahren. Zum Saisonende wird er sein Cockpit bei Renault verlieren, und zur Weltrettung will er auch nichts beitragen: “Das ist nicht mein Bier.”