Großbritannien wird nach Ansicht des scheidenden EU-Ratspräsident Donald Tusk nach dem Brexit einen internationalen Bedeutungsverlust erleiden. “Nur als Teil eines vereinten Europas kann das Vereinigte Königreich einen globale Rolle spielen”, sagte er am Mittwochabend in einer Bilanz seiner fünfjährigen Amtszeit. Nach dem Austritt aus der EU werde Großbritannien ein “Außenseiter, ein zweitklassiger Spieler” sein. Überall werde er gefragt, warum die Briten sich das antäten.
Mit Blick auf die anstehenden Wahlen in Großbritannien am 12. Dezember appellierte er an die Briten: “Gebt nicht auf. In diesem Match hatten wir bereits Nachspielzeit, jetzt sind wir in der Verlängerung, vielleicht geht es sogar ins Elfmeterschießen.” Damit spielte er offenbar auf Forderungen der oppositionellen Labour-Partei an, ein neues Abkommen mit der EU auszuhandeln und danach eine Volksabstimmung darüber abzuhalten.
Tusk, der sein Amt am 1. Dezember an den früheren belgischen Ministerpräsidenten Charles Michel übergibt, erinnerte daran, dass er alles dafür getan habe, die Frist für den Brexit zu verlängern. Somit wollte er Großbritannien Zeit zum Nachdenken oder gar für eine mögliche Kehrtwende geben.
Sein großes Thema sei die Einheit der Europäischen Union gewesen, sagte Tusk und stellte besonders heraus, Griechenland in der Eurozone gehalten zu haben. “Ich habe die Griechen vor einer übermäßig harten und manchmal orthodoxen Herangehensweise der Deutschen und der Niederländer bewahrt”, sagte der Pole.
Dennoch habe die Eurozone am 12. Juli 2015 unmittelbar vor dem Zusammenbruch gestanden. In dieser Nacht wären Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras um vier Uhr morgens beinahe im Streit auseinander gegangen, sagte Tusk. “Ich schloss die Tür und sagte ihnen: ‘Sorry, aber es ist ausgeschlossen, dass ihr diesen Raum verlasst, bevor ihr euch einig werdet.’ Vier Stunden später verkündigte ich ein aGreekment.”
Auch gegen den französischen Präsidenten Emmanuel Macron setzte Tusk zum Abschied eine Breitseite und übte Kritik an der französischen Blockade von Beitrittsgesprächen mit Albanien und Nordmazedonien. Macrons Forderung nach einer neuen Russlandpolitik wies Tusk ebenfalls zurück. Die harte Linie gegen Moskau müsse beibehalten werden.