Der frühere Box-Weltmeister Graciano Rocchigiani ist in Italien bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Ein Sprecher der italienischen Polizei teilte mit, Rocchigini sei am Montagabend in dem Ort Belpasso bei Catania auf Sizilien zu Fuß auf der Straße unterwegs gewesen und von einem Auto erfasst worden. Der genaue Hergang müsse noch ermittelt werden, unter anderem ob auch Alkohol im Spiel war. Weitere Details wollte der Sprecher nicht nennen. Am Steuer saß laut Polizeibericht ein 29-Jähriger. Laut italienischer Medien war ein deutscher Staatsbürger kurz vor Mitternacht auf der größeren Staatsstraße SS121 unterwegs, bevor er überfahren wurde. Er sei sofort tot gewesen.
Graciano „Rocky„ Rocchigiani war Weltmeister im Supermittelgewicht (1988/89) und im Halbschwergewicht (1998 bis 2000). „Er war der talentierteste Boxer in den letzten 30 bis 40 Jahren in Deutschland, vom Talent höher einzuschätzen als Henry Maske“, hatte Box-Promoter Wilfried Sauerland zu Rocchigianis 50. Geburtstag im Jahr 2013 gesagt. Rocchigiani bestritt in seiner 20-jährigen Profikarriere 49 Kämpfe, 41 davon gewann der Rechtsausleger mit dem harten linken Schlag.
„Man glaubt es nicht, mir ist ganz schaurig”, sagte der ehemalige Box-Weltmeister Henry Maske im ARD-Magazin Brisant zu der traurigen Nachricht. Zweimal hatte er sich im Ring mit Rocchigiani duelliert, „es waren harte Kämpfe, aber mit ihnen ist der gegenseitige Respekt gewachsen. Deshalb ist es umso erschütternder und bewegender, dass er so gehen muss.“ Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) zeigte sich betroffen. Die Hauptstadt trauere um einen „Boxer mit großem Herz“. „’Rocky’, wie er von aller Welt genannt wurde, war nicht nur nach Max Schmeling und Eckhard Dagge der erst dritte deutsche Weltmeister im Profiboxsport. Er war auch eine Urberliner Type, der Schnauze mit Herz verband“, teilte Müller mit.

Boxchampion Rocchigiani, Sohn eines sardischen Eisenbiegers und einer Berlinerin, der sowohl die Schule als auch seine Lehre als Glas- und Gebäudereiniger abgebrochen hatte, war auch deshalb regelmäßig in den Medien, weil er ein Leben in Saus und Braus führte. „Rocky“ wurde zweimal Weltmeister, scheffelte Millionen, verprasste alles, stürzte ab und lebte lange von Hartz IV. „In der Vergangenheit habe ich mich oft wie auf einer Achterbahn gefühlt. Für kurze Zeit ganz oben, als strahlender Sieger, und dann plötzlich wieder ganz unten, am Boden zerstört. Einmal fand ich mich im Straßengraben wieder und dreimal auch im Knast“, sagte der „Bad Boy“ des deutschen Boxsports einmal. Legendär war die Berliner Schnauze des gebürtigen Duisburgers. Verlor er umstritten, polterte er los – ohne Rücksicht auf Verluste: „Allet Beschiss, allet Schweine.“
Das ganze Drama seines Lebens wurde deutlich, als seine ehemalige Ehefrau Christine ihre Autobiografie („K.o. nach zwölf Runden”) vor einigen Jahren veröffentlicht hatte. Drogen, Prostituierte, häusliche Gewalt, Knast, Scheidung – Rocchigiani ließ keinen Skandal aus. Mehrmals musste der Mann aus Berlin-Schöneberg hinter Gitter – wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung oder wiederholten Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
Er widerlegte das Motto „They never come back“
Außerhalb des Rings führte Rocchigiani auch einen der spektakulärsten Prozesse in der Geschichte des Profiboxens – und gewann. Am 22. März 1998 hatte sich der Rechtsausleger vor 9000 Zuschauern in der Berliner Max-Schmeling-Halle durch einen Sieg gegen den Amerikaner Michael Nunn den WM-Titel der WBC im Halbschwergewicht gesichert. Als erster deutscher Boxer widerlegte er das Motto „They never come back“ und wurde zum zweiten Mal in seiner Karriere Champion.

Vier Monate später sorgte das World Boxing Council (WBC) für einen Eklat. Der Verband, in dem bereits Muhammad Ali Weltmeister war, ernannte plötzlich den Amerikaner Roy Jones zum neuen Champion. Rocchigiani fühlte sich bestohlen und zog in den Vereinigten Staaten vor Gericht. Am Ende wurden ihm 31 Millionen Dollar Schadenersatz zugesprochen. Dem WBC drohte der Konkurs, 2004 ging Rocchigiani auf ein Vergleichsangebot ein und bekam 4,5 Millionen Dollar. Es dauerte aber nicht lange, da war auch diese Summe durchgebracht.
Zur tragischen Figur wurde „Rocky“ selbst zur Zeit des deutschen Boxbooms in den neunziger Jahren in Kämpfen gegen die damaligen Fernseh-Lieblinge Henry Maske und Dariusz Michalczewski. Beide Weltmeister hatte er am Rande einer Niederlage, verlor aber jeweils umstritten. Die Rückkämpfe gab er klar ab, sodass ihm der Aufstieg zum nationalen Helden verwehrt blieb.
Sein Stern als Profiboxer war am 11. März 1988 aufgegangen. Vor 6000 Zuschauern prügelte der damals 24-Jährige in Düsseldorf den Amerikaner Vincent Boulware (Vereinigte Staaten) im IBF-Titelkampf des Supermittelgewichts windelweich. Schon damals zeigte sich sein typischer Stil: Sobald Graciano Rocchigiani sich bei einem Gegner festgebissen hatte, war der jüngere Bruder von Profiboxer Ralf Rocchigiani nicht mehr zu halten und zeigte spektakuläre Schlagserien. Über Nacht war der Shooting-Star zum Champion geworden, Deutschland hatte nach Max Schmeling und Eckhard Dagge seinen dritten Weltmeister im Profiboxen.

Zuletzt war Rocchigiani als Experte für den TV-Sender Sport1 und als Jury-Mitglied in der Sendung „Sport1 – The Next Rocky“ tätig. „Es wird Zeit, dass mal wieder ein bisschen frisches Blut in die ganze Box-Geschichte kommt“, hatte er sein Kommen angekündigt. Nach dem Tod von Rocchigiani stoppte Sport1 die für diesen Dienstag geplante Folge der Web-Casting-Show. „The Next Rocky“ soll Nachwuchstalente entdecken, fördern und bei ihrem Weg in den Ring begleiten. Auf Nachfrage des Branchenportals Meedia.de teilte der Sender mit: „Die heutige Folge der Webserie zu unserer Box-Castingshow ‘Sport1: The Next Rocky’ wurde ausgeplant. Wie wir mit dem Format weiter verfahren, steht derzeit noch nicht fest.“
Seit dem 18. September lief das Casting-Format zunächst mit bislang vier Folgen auf der Sport1-Webplattform sowie bei YouTube, für Dienstag stand die fünfte Folge an. Gegen Jahresende sollte das Format auch im Fernsehen ausgestrahlt werden. Sport1-Chefredakteur Dirc Seemann teilte mit: „Wir haben mit großer Bestürzung vom Tod von Graciano Rocchigiani erfahren, der viel zu früh von uns gegangen ist. Graciano war seit Anfang 2018 als meinungsstarker Experte bei unseren Boxübertragungen im Einsatz. Unser ganzes Mitgefühl gilt in dieser schweren Zeit seiner Familie und seinen Freunden.“